Das Ende der Öffentlichen Meinung? Warum uns Micro-Targeting mehr Sorgen machen sollte als Trump

trump_mediaDie Aufregung war groß. Zuerst über die Wahl von Trump (das hat jeder mitbekommen) und kurze Zeit später dann über den vermeintlichen Hauptgrund seines Sieges (das haben zumindest alle Journalisten und Social Media Nerds mitbekommen).

Denn laut dem Schweizer „Magazin“ hat Trump die Wahl vor allem mit Hilfe der ominösen Daten-Firma Cambridge Analytica gewonnen. Diese gleicht laut eigenen Angaben Millionen von Nutzerdaten ab und erstellt daraus Persönlichkeitsprofile. So spricht sie gezielt via Facebook & Co die Wähler mit an sie angepassten Botschaften an. Beispielsweise bekommen ängstliche Menschen beim Thema Waffen auf dieser Grundlage völlig andere Werbung ausgespielt als Machos. Die Firma geht soweit, dass sie behauptet, sie könnte Dörfer oder Häuserblocks gezielt erreichen, ja sogar Einzelpersonen.

Klingt scary, ist es auch. Und es wurde schon viel darüber diskutiert, ob das a) überhaupt wirklich möglich ist und b) wie sehr Micro-Targeting tatsächlich der ausschlaggebende Grund für Trumps Sieg war.

Das Ende der Öffentlichen Meinung
Ich will hier aber gar nicht auf diese Diskussion eingehen, sondern auf etwas viel Weittragenderes. Trump ist schlussendlich nur ein Symptom von einem gewaltigen Umbruch, der weit mehr beeinflusst als die letzte US Wahl.

Denn egal, ob die Verantwortlichen von Cambridge Analytica tatsächlich schon das umsetzen können was sie versprechen oder nicht, es wird zunehmend eines klar: Es gibt nicht mehr „die“ öffentliche Meinung. Die öffentliche Meinung ist tot. Zumindest zunehmend töter (sic!).

In einer Gesellschaft, in der Massenmedien vorherrschen, also Fernsehen, Zeitung, Radio oder Webseiten die „alle“ lesen, haben alle die gleiche Information. Zumindest zu weiten Teilen.

Über diese Informationen können wir dann diskutieren, mit unseren Familien, Kollegen, Freunden und Feinden. Jeder hat die gleiche Botschaft gehört, über die man sich einig sein oder eben streiten kann.

Die Schattenseite der schönen neuen Medienwelt
Nun wurden Massenmedien lange Jahre zumindest in „gebildeten“ Kreisen oft verpönt. Sie verdummen die Massen, jeder bekommt das Gleiche vorgesetzt, und das ist schlecht.

Soziale Medien wurden daher zuerst einmal als Förderer oder sogar Retter der Demokratie gefeiert. Jeder hat nun die Möglichkeit mit einer breiten Öffentlichkeit zu kommunizieren. Und wir bekommen umgekehrt maßgeschneiderte Informationen, wir entrinnen dem Einheitsbreit der Massenmedien. Doch nun werden langsam auch die Schattenseiten dieser schönen neuen Medienwelt deutlich.

Denn: Wir erhalten plötzlich eben nicht mehr alle die gleiche Botschaft. Wir bekommen nicht das gleiche mit, was die Person, die neben uns in der U-Bahn sitzt, liest. Hört. Sieht. Kurz: Welche Botschaften sie überhaupt empfängt, oder besser gesagt, mit welchen Botschaften sie erreicht wird.

Micro-Targeting
Jeder bekommt seine eigene Wahrheit. Auch in der politischen Arena.
Das ist nur der nächste logische Schritt. Unternehmen tun es schon längst. Man segmentiert die Kunden, die man dann gezielt mit einem bestimmten Inhalt anspricht. Targeting nennt sich das. Etwas ganz Alltägliches im heutigen Marketing. Diese Möglichkeit bietet am allerbesten Facebook, und daher ist der Onlinegigant auch so erfolgreich im Werbegeschäft.

Dass auch Politiker dieses mächtige Tool verwenden, versteht sich von selbst. Und je ausgereifter die Methoden werden, je kleinteiliger die Zielgruppen und damit das Targeting, desto mehr Botschaften kursieren auch in der Gesellschaft, über die wiederum nur ein kleiner Teil der Bevölkerung überhaupt Bescheid weiß. Micro-Targeting führt so schlussendlich zum Ende der Öffentlichen Meinung.

Es war ja angeblich das Geniale an Trumps Strategie: Es war egal, dass er verschiedenste Botschaften absetzte, die sich teilweise sogar eklatant widersprachen. Denn Gruppe A wusste gar nicht, dass er Gruppe B das Gegenteil erzählt hatte. Je weniger sich Menschen in etablierten Massenmedien informieren und stattdessen auf Social Media Quellen vertrauen, desto weniger brauchen sich Politiker – oder auch andere Meinungsbildner – um eine Wahrheit zu kümmern. In den USA ist bereits für fast zwei Drittel der Millenials Facebook die wichtigste News Quelle.

Uns fehlt die Diskussionsbasis
Was heißt das aber für die Gesellschaft, für die Demokratie? Wir können nicht mehr davon ausgehen, dass die Menschen um uns herum von der gleichen Informationsbasis ausgehen wie wir. Und damit fehlt uns auch die Diskussionsbasis.

Doch diese ist eine Grundsäule für funktionierende Demokratie. Wenn jeder „seine Wahrheit“ hat, dann kann nicht mehr argumentiert werden, sondern der mit den stärkeren Emotionen (oder der stärkeren Faust) gewinnt.

Wir wissen nicht was anders denkende Gruppierungen für Botschaften empfangen. Und noch schlimmer: Uns ist meist nicht einmal bewusst, dass sie es tun.

Natürlich gibt es sie auch noch, die Massenmedien und die Botschaften, die ein großer Teil der Bevölkerung gleichermaßen hört. Doch bewegen wir uns gerade mit großen Schritten auf eine Gesellschaft zu, die diese Basis verliert.

Dazu braucht es noch gar kein Micro-Targeting, das so granular und ausgefeilt wie das von Cambridge Analytica ist. Die aktuellen Möglichkeiten von Targeting auf Facebook und Co sind schon längst groß genug. Und werden mit jedem Tag größer.

Ich möchte bestimmt kein Schwarzmaler sein oder Dinge um der Überspitzung willen übertreiben. Aber konsequent zu Ende gedacht wäre die aktuelle Entwicklung tatsächlich das Ende der Öffentlichen Meinung. 

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